Der Blick zurück aus anderer Sicht:
Sie ist meine Schülerin, nun schon das dritte Jahr. Ich mochte sie immer, eine stille, schüchterne, aber sehr fleißige und höfliche Schülerin. Als beim Sprechtag ihre Mama erschien, dachte ihr mir "eine tolle Frau" und wunderte mich etwas, wie ähnlich und zugleich verschieden Mutter und Tochter sind. Ansonsten war nicht Außergewöhnliches in unserer Begegnung.
Letztes Jahr in den Osterferien war ich in Urlaub, ganz weit weg, weg vom Alltag, weg von der Schule. Meine Gedanken waren frei und völlig unbeschwert. Und eines Nachts träumte ich eine Szene, wie sie hätte sein können, aber noch nie war: "Wie ich mich von der Klasse feierlich verabschiedet habe (vielleicht standen die Sommerferien vor der Tür oder eine Klassenreise), zu jeder einzelnen hatte ich etwas gesagt und sie war die letzte von allen, die ging; der Handschlag dauerte länger als normal und erstmals trafen sich bewusst unsere Augen." Nach diesem Traum war nichts mehr wie früher. Zunächst war ich verwirrt, gleichzeitig aber schon gewahr, dass ich mich verliebt hatte. Nein, ich kämpfte nicht gegen diese Gefühle an, ich ließ sie da schon zu (und lasse sie zu und genieße die kleinen erlaubten Momente, die möglich sind). Zunächst begegnete ich ihr aufmerksamer als früher und achtete auf sie. Und wenige Woche nach meinem Traum hatte sich in mir das Gefühl eingeschlichen, sie sei auch in mich verliebt. Ich spürte stets ihren Blick auf mir ruhen. Egal, was ich tat und wo ich im Klassenzimmer stand. Ihre Augen ließen mich nicht los. Ich empfand es nicht als unangenehm, mied aber bis dato den Blickkontakt und wäre selbst so gerne die Bewundererin der Beobachterin gewesen. Und dann kam der Moment, da ich diesen tiefen Blick nicht mehr vermeiden konnte oder wollte und mich zu ihr hindrehte und sie ansah. Und dann trafen Augen auf Augen und verweilten Sekunden ineinander. Dieser Augenblick, so tief, so schön empfunden, hat mich unglaublich berührt und mir gesagt, dass ich mir vor mir selbst meine Gefühle nicht verbieten will.