Ich persönliche fände einen Literaturkanon ohnehin nur dann sinnvoll, wenn er immer noch nicht die gesamte Lektüre vorgibt. Gerade in der Unterstufe finde ich, sollten Lehrkräfte noch viel Spielraum haben. Ich zum Beispiel habe in meiner Hauptschulzeit (im Alter von 10 - 14) viele spannende Bücher im Unterricht gelesen, der hauptsächliches Ziel es sicher war, schlicht zum Lesen zu motivieren. Ich finde aber auch, dass auf Kinder- und Jugendliteratur nicht herabgesehen werden darf – mag sein, dass die Bücher oft nicht den größten literarischen Anspruch haben, aber man lernt in der Identifikation mit den Figuren sehr viel über Einfühlsamkeitsvermögen, Freundschaft, das Erwachsenwerden, die Konflikte, mit denen die Figuren zu kämpfen haben, ohne diese selbst erleben zu müssen. Gerade diese kathartischen Effekte würde ich nicht unterschätzen.
Abgesehen davon ist es auch regional Unterschiedlich, welche Autor*innen gelesen werden. Für mich waren unter anderem Felix Mitterer, Markus Köhlmeier, Bernhard Aichner Pflichtprogramm. Die werden euch wahrscheinlich gar nichts sagen, sind aber echte Größen der österreichischen/tiroler Literaturszene. Ein Kanon der von Wien vorgegeben wird, hätte die wahrscheinlich nicht unbedingt im Programm. Und Österreich ist klein - ich weiß ja nicht wie die deutschen regionalen Literaturszenen aussehen, aber wäre doch schade, über die eigene "Hausliteratur" gar nicht zu reden.
Ja, die schulische Lektüre sollte einen gewissen Anspruch haben. Die Frage ist nur, worin dieser Anspruch besteht. Gerade mit Harry Potter ließe sich auf unterschiedliche Weise sehr gut arbeiten - abegsehen davon finde ich, dass man HP mittlerweile durchaus als Klassiker der britischen Literatur bezeichnen kann. Denn das wird er für kommende Generationen garantiert sein.
Interessant, dass du, Hummelchen, Faust nicht lesen würdest aber Werther schon - ich hab das schon genau umgekehrt gehört
So hat halt jeder seine Präferenzen. Aber kann und soll die Lektüre einer Klasse von den Vorlieben einer Lehrperson abhängen dürfen? Das subjektive Gefallen eines Buches ist sicher nicht als alleiniges Kriterium annehmbar.
Ich muss auch sagen, ich habe Faust bisher nicht gelesen, halte ihn aber durchaus für lesenwert, schon allein, weil auf dieses Werk des öfteren Bezug genommen wird und es nicht schlecht ist, das dann verstehen zu können. Ich kanns derzeit ja nicht
Ja, dass sich der Deutschunterricht auf deutsche Literatur beschränkt ist verständlich - und sehr, sehr schade. Gerade da ich ja auch Literaturwissenschaft studiere und mich mit Weltliteratur beschäftige wird mir die Beschränkung schwer fallen, weiß ich jetzt schon
Naja, Bildung damit zu rechtfertigen, dass es halt Bildung ist, geht meiner Meinung nach nicht auf. Und ich glaube durchaus, das manche Menschen von Haus aus einfach kein Interesse an Literatur haben. Das ist okay und das akzeptiere ich.
Ich halte Literatur trotzdem für lehrwürdig, weil die Identifikation mit den Figuren und das Durchleben der Konflikte erste Reihe fußfrei eben durchaus was mit einem macht (eleos und phobos - kathartische Effekte) und einen Empathie lehrt. Die Beschäftigung mit Literatur macht bestenfalls kritisch und offen und reißt Begrenzungen ein, öffnet den Horizont, lehrt auch geschichtliches bzw. literaturgeschichtliches, um nur ein paar Aspekte zu nennen.
Zwei Oberstufenlektüren schocken mich extrem. Wir hatten rund 20-25 Bücher in der Oberstufe zu lesen - und dabei habe ich keine allgemein- sondern eine berufsbildende Schule besucht, die die schönen Künste eh stark beschnitten hat (nix mit Lyrik und so. Gedichtanalysen sind mir vollkommen fremd.).
Zum deutschen Abi kann ich nichst sagen, zu unserer Zentralmatura auch noch nichts, ich bin der letzte Jahrgang, der noch nicht zentral maturiert hat. Bücher miteinander vergleichen musste ich in der Schule niemals.
Eine Liste mit Vorschlägen finde ich auch sinnvoll - so ist sichergestellt, dass eine einzelne Lehrperson nicht nur Schmarrn durchnimmt, ohne dass man ihr jede Selbstbestimmtheit nimmt (und ihr vielleicht nur Schmarrn zum Lehren anbietet
)
Ich halte mangelndes politisches oder geschichtliches Allgemeinwissen (oder das, was dafür gehalten wird) übrigens für weitaus gefährlicher für unsere Gesellschaft als wenn jemand mal zufällig keinen Goethe gelesen hat. Ich glaube davon, dass einer ein bestimmtes literarisches Werk nicht gelesen hat, ist noch keiner gestorben. Just my two cents.
Bin bei dir, wobei man das ja super verbinden kann. Gerade das Theater erfüllt(e) ja einen Bildungsauftrag und setzte sich oft sehr kritisch mit Politik und Gesellschaft auseinander. Mit Dramen aber auch mit anderer Literatur kann man da ja super viel machen.