Literaturkanon in der Schule




Alles was mit Lehrern allgemein zu tun hat - oder auch mit Schule und Beruf.

Literaturkanon in der Schule

Beitragvon Medea » 26.11.2016, 14:16

Ganz allgemeines Thema zur Literatur, ich hoffe, ich darf das hier posten.
Wie ich ja schon an anderer Stelle erwähnt habe, studiere ich Deutsch auf Lehramt und Literaturwissenschaft.
Ich hatte letztens eine längere Diskussion über Literatur in der Schule und möchte ein paar Fragen in den Raum stellen. Eure Antworten würden mich sehr interessieren!

* Sollte es einen verpflichtenden Literaturkanon für Schulen geben? Sollten bestimmte Werke zwingend gelesen werden müssen, oder sollte man die Wahl der Bücher den Lehrerinnen und Lehrern überlassen (und nur eine bestimmte Epoche angeben, aus der zu wählen ist)?
* Nach welchen Kriterien sollte ein Buch kanonisiert werden? (Muss man ein Buch lesen, weil "Goethe" draufsteht? Was bringt die Beschäftigung mit Literatur/mit einem Werk?)

Für mich sind das natürlich sinngebende Fragen, die ich mir in meinem Studium zwangsläufig stellen muss. Aber auch in meinem eigenen Studiengang gibt es teilweise unterschiedliche Meinungen - oder ratlose Gesichter. Wir (im Studium) beschäftigen uns intensiv mit Büchern, weil wir Bücher mögen. Aber warum sollten sich auch meine SuS, die Literatur null interessiert, mit Büchern beschäftigen müssen? ;) Ich bin gespannt auf unterschiedliche Meinungen und hoffe auf Input :)
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Re: Literaturkanon in der Schule

Beitragvon Hummelchen » 26.11.2016, 15:41

Das ist ein interessantes Thema, über das ich häufiger nachdenke.

Sollte es einen verpflichtenden Literaturkanon für Schulen geben?
Ja. Vor der Oberstufe waren die meisten Lektüren nicht im Lehrplan vereinheitlicht und wir haben teilweise solchen Schrott gelesen :S schlechte Jugendliteratur, mit der sich die Lehrer anbiedern wollten, die dachte, dass Kinder so etwas cool fänden. Bildungsanspruch im negativen Bereich.
Aus meiner Sicht sollten Lektüren einen gewissen Anspruch haben und um diesen zu vereinheitlichen bin ich für festgesetzte Lektüren - allein um faire Bedingungen fürs Zentralabitur zu schaffen.


Nach welchen Kriterien sollte ein Buch kanonisiert werden?
Eine Schullektüre sollte einen gewissen Anspruch haben, eine gewisse Herausforderung sein. Sie sollte Neuland für (die meisten) Schüler sein und exemplarisch für eine Epoche stehen. Die Schule soll schließlich den Horizont erweitern und das wäre mit Harry Potter als Schullektüre nicht erfüllt. Andererseits sollten sich die Schüler mit dem Werk zu einem gewissen Grade identifizieren können. "Faust"? Hmpf. Wenn schon Goethe, wieso dann nicht den "Werther"? Liebespein ist etwas, mit dem wohl jeder Jugendliche zu kämpfen hat. Zwar bietet auch Faust Motive, die Jugendlichen wohlvertraut sind, zB Umbruch des alten Lebens, Unzufriedenheit mit dem Selbst, aber dies alles kommt mit Figuren daher, mit denen sich ein Jugendlicher schwer identifizieren kann (ein älterer Gelehrter…) und in Form von Problemen, die für die meisten Jugendlichen eher weiter weg sind (Beschmutzung der Jungfräulichkeit und Schwangerschaft vor der Ehe…). Ähnliches gilt für Werke wie "Effi Briest", "Iphigenie von Tauris" etc …
Mit der "Verwandlung" taten sich viele Schüler anfangs schwer, aber ich beobachte, wie sich viele, auch noch ein Jahr nach dem Lesen, in vielen Situationen an das Buch erinnert fühlen und es als Beispiel und Vergleich nutzen, sich in anderen Zusammenhängen darauf beziehen. Das ist es, finde ich, was eine gute Schullektüre ausmacht, wenn sie den Schülern Denkanstöße bringt und sie in neue Gefilde lenkt und gleichzeitig Identifikationspotenzial mit sich bringt, was durch vertraute Motive erreicht wird. Wieso liest man nicht zB "Unterm Rad" von Hesse? Schade, dass Schüler durch die in der Schule gelesenen Werke falsch an die Literatur herangeführt werden und sie ihnen für immer verekelt wird.
Ich finde es auch logisch, dass im Deutschunterricht deutsche Autoren behandelt werden, und nicht etwa Tolstoi oder Orwell - es ist nun mal Deutschunterricht und kein Literaturunterricht, wobei ich es sehr bedauerlich finde, dass es letzteren nicht gibt, dadurch fehlt meiner Meinung nach wirklich etwas.


Aber warum sollten sich auch meine SuS, die Literatur null interessiert, mit Büchern beschäftigen müssen?
In der Schule darf man sich leider viel zu selten mit interessanten Dingen beschäftigen ;) Manche Dinge gehören leider zur Bildung dazu, weil sie kulturelle Schätze sind - wenn man nur Dinge lernen will, die man "im Alltag braucht", dann sollte man keinen höheren Bildungsabschluss anstreben :mrgreen: Wie oben schon gesagt, Schüler wurden nicht mit dem Hass auf Literatur geboren, die Literatur wurde ihnen oft verekelt und der liebe Lehrer hat dann die Not, sie wieder dafür zu begeistern… was einem guten Lehrer und einer guten Lektüre im besten Falle gelingen sollte. Literatur kann das Tor zu fremden Welten öffnen und den Horizont wie sonst nichts, ein Lehrer sein, Helfer und Freund; Literatur ist einzigartig und die Schule für manche der einzige Berührpunkt mit ihr, leider. Und wer sich nicht für sie erwärmen kann, was ja auch von keinem verlangt wird, wird an den zwei Oberstufenlektüren, die es noch gibt, auch nicht zu Grunde gehen :roll:
Das ist auch sowas, worüber ich mich stundenlang aufregen könnte - 2 Lektüren in 2 Jahren, ist das ein Witz? Die Lektüren werden immer weiter gestrichen ): Aus meiner Sicht sollten sie einen größeren Stellenwert im Deutschunterricht haben, da Literatur eine Verkörperung der Sprache selbst ist und man mit und an Büchern viel (über sie) lernen kann.
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Re: Literaturkanon in der Schule

Beitragvon Thursday » 26.11.2016, 15:45

Ja, ich finde, es sollte einen verpflichtenden Literaturkanon geben. Allein schon deshalb, weil das Abitur mehr und mehr zentralisiert wird und ich mir das bedeutend schwieriger vorstelle, wenn jeder Kurs irgendetwas komplett anderes gelesen hat. Natürlich sollten darin unterschiedliche Epochen nicht zu kurz kommen und ich schätze, mindestens ein Goethe und ein Schiller sollten schon dabei sein – ich bin selbst kein großer Goethe-Fan, aber nach außen hin sind es vor allem diese beiden Autoren, die man aus Deutschland kennt, und da fände ich es schon mehr als schade, wenn wir als Schüler davon keine Ahnung mehr hätten.

Was bringt die Beschäftigung mit Literatur? Unheimlich viel (und doch musste ich darüber jetzt länger nachdenken, als ich normalerweise zugeben würde). Für mich sind literarische Werke dann besonders interessant, wenn man durch sie den Blick des Autors etwa auf gesellschaftliche Verhältnisse (jener Zeit) oder verschiedene Philosophien gewinnt. Das ist nicht nur ein sehr wertvoller Zugang zur Geschichte (je nach Werk natürlich; mir hat zum Beispiel romantische Lyrik im Unterricht sehr gut geholfen, den Weg zu einem völlig überzogenen Nationalismus nachvollziehen zu können), sondern man kann für sich so unheimlich viel davon mitnehmen.

Ich bin mir gerade gar nicht sicher, wie viel Sinn mein Beitrag überhaupt macht – und hilfreich war er für dich vermutlich nicht. Sorry :study:
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Re: Literaturkanon in der Schule

Beitragvon Zauberin » 27.11.2016, 15:29

Ich hab mir über das Thema zwar noch nie wirklich Gedanken gemacht, hab aber beim Durchlesen von Hummels Beitrag die ganze Zeit zustimmend vor mich hingenickt und schließe mich ihr in allen Punkten an.

Nur eins: keine Ahnung ob das bundeslandspezifisch ist oder nicht, aber wir hatten bei Weitem mehr als 2 Lektüren in der Oberstufe. Wir haben bestimmt 5+ in einem Schuljahr gelesen! Ich weiß zwar, dass wir von den Deutschkursen an meiner Schule der waren, der am meisten Lektüren hatte, aber auch die anderen haben mindestens 3+ pro Schuljahr gelesen...
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Re: Literaturkanon in der Schule

Beitragvon Hummelchen » 27.11.2016, 20:49

Zauberin hat geschrieben:Nur eins: keine Ahnung ob das bundeslandspezifisch ist oder nicht, aber wir hatten bei Weitem mehr als 2 Lektüren in der Oberstufe. Wir haben bestimmt 5+ in einem Schuljahr gelesen! Ich weiß zwar, dass wir von den Deutschkursen an meiner Schule der waren, der am meisten Lektüren hatte, aber auch die anderen haben mindestens 3+ pro Schuljahr gelesen...

Du bist a) aus Bayern, das Superduper-Bundesland und ich in NRW, und damit am unteren Ende was das Niveau betrifft :b Hinzu kommt, dass ich im ersten NRW-Jahrgang mit einem neuen Lehrplan bin, der weiter komprimiert wurde - uns wurden u.a. Lektüren gestrichen, die alle Jahrgänge vorher hatten (dafür haben wir "materialgestütztes Schreiben als neue Textform in Deutsch-Klausuren). Mein Ex hat 2015 Abi gemacht (auch an meiner Schule und auch im Deutsch Grundkurs) und hatte mindestens 2 Lektüren mehr (Hiob, Tauben im Gras, Kabale und Liebe und Verwandlung iirc). Ein Trauerspiel :(
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Re: Literaturkanon in der Schule

Beitragvon Severa Granger » 27.11.2016, 21:12

Ich bin der gleichen Meinung wie die anderen Drei vor mir.

Manche Autoren gehören für mich auch einfach zur Allgemeinbildung. Ich kann doch nicht eine allgemeine Hochschulreife erlangen, ohne einen einzigen Goethe gelesen zu haben!
Ich selbst stecke mittendrin im Schlamassel, gerade in der elften Klasse. Ich war nie ein großer Fan vom Fach Deutsch, aber ich sehe die Notwendigkeit des Lesens deutscher Literatur im Deutschunterricht trotzdem. In der Unterstufe und Anfang der Mittelstufe ist es vielleicht noch schwierig, eine anspruchsvolle Lektüre zu lesen. Aber wieso muss es dann ein ausgesprochen schlechtes Buch sein? Im sechsten Schuljahr haben wir ein Buch gelesen, das wenigstens noch pädagogischen Wert hatte, aber die Jugendbücher im siebten und neunten Schuljahr waren abgrundtief schlecht. Da soll jemand Spaß am Lesen und Spaß am Fach bekommen? Wenn es doch wenigstens Harry Potter gewesen wäre...

Am Ende der 9 haben wir allerdings ,, Andorra" gelesen und da fing es an, interessant zu werden! (,,Andorra" bleibt meiner Meinung nach auch immer aktuell!) Im zehnten haben wir ,, Die Physiker" von Dürrenmatt gelesen. Jetzt war Faust dran. Bei allen dreien wurde viel gejault, aber letztendlich war es doch ganz gut, es gelesen zu haben. Faust war teilweise eine Herausforderung, aber alle Teilnehmer meines Kurses sind froh, es gelesen zu haben. Gegen Ende hat die Beschäftigung damit sogar Spaß gemacht!
Nun lesen wir ,, Das Leben des Galilei", was laut meiner Lehrerin nicht im Lehrplan steht, aber ich bin froh, es zu lesen. Jede Lektüre macht für mich den Deutschunterricht spannender! Am Ende des Schuljahres lesen wir, so weit ich weiß, noch die Verwandlung. Auch wenn ich jetzt noch sage, dass ich da keine Lust drauf habe, bin ich mir sicher, am Ende doch einen Gewinn daraus zu ziehen.

Gerade mit Blick auf das Zentralabitur ist es natürlich schlau, einen verpflichtenden Literaturkanon zu haben. Den kann man dann aber auch alle paar Jahre ändern (wird ja auch gemacht, oder?).

So, das war jetzt meine Meinung als Kulturbanausin, die aber keine bleiben will...
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Re: Literaturkanon in der Schule

Beitragvon Reika » 27.11.2016, 22:26

Könnte mir mal jmd erklären, wo ihr den Vorteil seht, wenn man einen verpflichtenden Kanon hat bzgl. (zentralisiertes) Abitur?
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Re: Literaturkanon in der Schule

Beitragvon Zauberin » 27.11.2016, 23:45

Naja du musst ja im Deutschabi bei deiner Analyse und Interpretation so gut wie immer das vorliegende Werk mit einem anderen von dir gelesenen und vorzugsweise im Unterricht behandelten Werk vergleichen. Und wenn thematisch was dran kommt, was sich zum Beispiel sehr gut mit Iphigenie auf Tauris vergleichen lässt, dann haben die, die das Buch gelesen haben halt nen Vorteil gegenüber denen, die eventuell nur Die Verwandlung gelesen haben. Ein Literaturkanon würde zumindest ansatzweise mehr Gleichheit bei den Voraussetzungen schaffen, zumindest bei einem zentralisierten Abitur.
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Re: Literaturkanon in der Schule

Beitragvon Reika » 28.11.2016, 00:36

Echt? Das kenn ich gar nicht. In diesem Fall kann ich sehen, warum ein Kanon fair wäre. Aber man könnte halt auch andere Aufgaben stellen, zum Beispiel den Vergleich weglassen.

Ansonsten muss ich mir mal noch mehr Gedanken über das Thema machen... denn so gut die Argumente sind, ich kann spontan nicht uneingeschränkt den Vorrednern zustimmen.
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Re: Literaturkanon in der Schule

Beitragvon Zauberin » 28.11.2016, 16:15

Also ich weiß nicht inwiefern ich da jetzt für die anderen spreche, aber ich glaube es hat weiter oben auch schon jemand anderes mal davon geschrieben gehabt. Bei uns war es definitiv so, dass man auch in Klausuren zu 95% den vorliegenden Test mit einem anderen Werk vergleichen musste, oder halt so Fragen wie "Nennen Sie eine weitere Figur aus einem von Ihnen gelesenen literarischen Werk, die sich in einer ähnlichen Situation wie xy befindet." Oder anderweitige Parallelen.

An sich sehe ich an einem Literaturkanon nichts schlechtes. Die meisten Schüler interessieren sich doch (wenn wir mal ehrlich sind) eh nicht wirklich dafür und die, die es wirklich interessiert, die beschäftigen sich bestimmt in ihrer Freizeit auch freiwillig damit. Und allen könnte man es eh nie recht machen.
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Re: Literaturkanon in der Schule

Beitragvon wallflower » 28.11.2016, 23:51

Zauberin hat geschrieben:Ich hab mir über das Thema zwar noch nie wirklich Gedanken gemacht, hab aber beim Durchlesen von Hummels Beitrag die ganze Zeit zustimmend vor mich hingenickt und schließe mich ihr in allen Punkten an.

Nur eins: keine Ahnung ob das bundeslandspezifisch ist oder nicht, aber wir hatten bei Weitem mehr als 2 Lektüren in der Oberstufe. Wir haben bestimmt 5+ in einem Schuljahr gelesen! Ich weiß zwar, dass wir von den Deutschkursen an meiner Schule der waren, der am meisten Lektüren hatte, aber auch die anderen haben mindestens 3+ pro Schuljahr gelesen...


Also wir haben acht Bücher in den letzten zwei Jahren gelesen, fast alles Pflichtlektüren (ich glaube, Hessen hat es bei den Pflichtlektüren fürs Abi dezent übertrieben, freie Wahl gibt's da gar nicht mehr... aber dazu schreibe ich mal mehr, wenn ich Zeit habe :)
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Re: Literaturkanon in der Schule

Beitragvon BaecksInBlack » 30.11.2016, 01:35

Hummelchen hat geschrieben:Die Schule soll schließlich den Horizont erweitern und das wäre mit Harry Potter als Schullektüre nicht erfüllt.

Für den Deutschunterricht würde ich dem zustimmen, dass sich Harry Potter nicht eignet - allerdings eher aus dem Grund, weil ich wie du auch die Ansicht vertrete, dass es nicht sinnvoll ist, im Deutschunterricht ins Deutsche übersetzte Texte ausländischer Autoren zu lesen, völlig gleich aus welcher Epoche. Vor allem lässt sich ein übersetzter Text nicht mehr wirklich auf die von dem/der AutorIn verwendete stilistischen Mittel analysieren, da diese nie 1:1 in Übersetzungen übernommen werden können. Ich denke du wärst überrascht, wenn ich dir erzähle, wie viele SchülerInnen ich mittlerweile kenne, die Harry Potter nie gelesen, bestenfalls die Filme gesehen haben. Wenn man sich im Englischunterricht mit Kulturphänomenen der 1990er und 2000er-Jahre beschäftigt, halte ich Harry Potter doch durchaus für eine geeignete Lektüre. Zu einem gewissen Grad können die Lernenden sich mit den Charakteren identifizieren und doch ist es eine völlig andere Lebenswelt. Es ist auch ein gewaltiger Unterschied, ob man ein Buch zu Unterhaltungszwecken liest, oder es kritisch analysiert: woran könnte es liegen, dass dieses Werk so populär ist? Ist es der Schreibstil der Autorin? Sind es bestimmte Charaktere? Oder liegt es doch an der Entführung der LeserInnen in eine völlig neue Welt? [Ich hätte hier gerade 1000 Ideen, wie man Unterrichtseinheiten dazu gestalten könnte, ohne auf der banalen "yeah, wir lesen mal Harry Potter, cool!"-Ebene bleiben zu müssen - die sollte ich wohl besser festhalten, könnte sie später im Job ja vielleicht noch brauchen, man weiß ja nie. :ugly:]

Als angehende Englisch- und Französichlehrerin beziehe ich die Frage des Kanons natürlich nicht nur auf den Deutschunterricht. In den beiden Fremdsprachen sieht die Situation ja genau wie im Deutschen aus, zumindest in meinem Abitur-Bundesland Niedersachsen und auch in Hamburg, wo ich studiere und Praktika mache. Im Zentralabitur gibt es, wie viele schon sagten, Aufgaben, in denen man dann Vergleiche zu den im Unterricht behandelten Lektüren ziehen muss. Aus diesem Grund empfinde ich es schon als vorteilhaft, wenn alle SuS zur Vorbereitung auf das Abitur auch die selben Werke gelesen haben, damit sie auch die selben Chancen haben. Ich muss auch ganz ehrlich sagen, wenn man den LehrerInnen zu viele Freiheiten bei der Auswahl der Lektüre lässt, können die es auch mächtig verkacken.^^ Ich selbst würde es als vorteilhaft empfinden, genau zu wissen, mithilfe welcher Lektüre ich meine SchülerInnen am besten auf das Abitur vorbereiten kann. Der Knackpunkt ist allerdings, dass die Semesterthemen sich mit jedem Abiturjahrgang wieder ändern (soweit ich weiß so, dass jeweils 1 oder 2 Themen sich überschneiden, der Rest ist dann wieder neu), also der Kanon für die Oberstufe auch jedes Jahr wieder geändert werden müsste.

Ob ich eine Kanon für die Unter- und Mittelstufe auch sinnvoll fände, kann ich nicht genau sagen, tendiere aber eher zu nein, da es keinen Grund gibt, warum alle haargenau das Selbe lesen müssen - es gibt ja keine zentrale schriftliche Leistungsüberprüfung. Um die Schüler in die Oberstufe zu bekommen, muss man sie ja auch erstmal fürs Lesen begeistern können und das schafft man meiner Meinung nach nicht mit "von ganz oben" ausgewählten Werken, hinter denen man selbst überhaupt nicht steht. Um völlig außer Kontrolle geratene Auswahlen zu verhindern, die überhaupt nicht geeignet sind, könnte es vielleicht eine Liste mit ca. 20-30 geeigneten Werken als Vorschlag zu jedem Thema geben, aus der die Lehrkraft dann etwas auswählen kann, möglicherweise auch gemeinsam mit der Klasse. Aus so einer großen Auswahl müsste doch für jeden etwas dabei sein.

Ich halte mangelndes politisches oder geschichtliches Allgemeinwissen (oder das, was dafür gehalten wird) übrigens für weitaus gefährlicher für unsere Gesellschaft als wenn jemand mal zufällig keinen Goethe gelesen hat. Ich glaube davon, dass einer ein bestimmtes literarisches Werk nicht gelesen hat, ist noch keiner gestorben. Just my two cents.
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Re: Literaturkanon in der Schule

Beitragvon Medea » 07.12.2016, 14:50

Ich persönliche fände einen Literaturkanon ohnehin nur dann sinnvoll, wenn er immer noch nicht die gesamte Lektüre vorgibt. Gerade in der Unterstufe finde ich, sollten Lehrkräfte noch viel Spielraum haben. Ich zum Beispiel habe in meiner Hauptschulzeit (im Alter von 10 - 14) viele spannende Bücher im Unterricht gelesen, der hauptsächliches Ziel es sicher war, schlicht zum Lesen zu motivieren. Ich finde aber auch, dass auf Kinder- und Jugendliteratur nicht herabgesehen werden darf – mag sein, dass die Bücher oft nicht den größten literarischen Anspruch haben, aber man lernt in der Identifikation mit den Figuren sehr viel über Einfühlsamkeitsvermögen, Freundschaft, das Erwachsenwerden, die Konflikte, mit denen die Figuren zu kämpfen haben, ohne diese selbst erleben zu müssen. Gerade diese kathartischen Effekte würde ich nicht unterschätzen.
Abgesehen davon ist es auch regional Unterschiedlich, welche Autor*innen gelesen werden. Für mich waren unter anderem Felix Mitterer, Markus Köhlmeier, Bernhard Aichner Pflichtprogramm. Die werden euch wahrscheinlich gar nichts sagen, sind aber echte Größen der österreichischen/tiroler Literaturszene. Ein Kanon der von Wien vorgegeben wird, hätte die wahrscheinlich nicht unbedingt im Programm. Und Österreich ist klein - ich weiß ja nicht wie die deutschen regionalen Literaturszenen aussehen, aber wäre doch schade, über die eigene "Hausliteratur" gar nicht zu reden.

Ja, die schulische Lektüre sollte einen gewissen Anspruch haben. Die Frage ist nur, worin dieser Anspruch besteht. Gerade mit Harry Potter ließe sich auf unterschiedliche Weise sehr gut arbeiten - abegsehen davon finde ich, dass man HP mittlerweile durchaus als Klassiker der britischen Literatur bezeichnen kann. Denn das wird er für kommende Generationen garantiert sein.

Interessant, dass du, Hummelchen, Faust nicht lesen würdest aber Werther schon - ich hab das schon genau umgekehrt gehört ;) So hat halt jeder seine Präferenzen. Aber kann und soll die Lektüre einer Klasse von den Vorlieben einer Lehrperson abhängen dürfen? Das subjektive Gefallen eines Buches ist sicher nicht als alleiniges Kriterium annehmbar.
Ich muss auch sagen, ich habe Faust bisher nicht gelesen, halte ihn aber durchaus für lesenwert, schon allein, weil auf dieses Werk des öfteren Bezug genommen wird und es nicht schlecht ist, das dann verstehen zu können. Ich kanns derzeit ja nicht ;)

Ja, dass sich der Deutschunterricht auf deutsche Literatur beschränkt ist verständlich - und sehr, sehr schade. Gerade da ich ja auch Literaturwissenschaft studiere und mich mit Weltliteratur beschäftige wird mir die Beschränkung schwer fallen, weiß ich jetzt schon ;)

Naja, Bildung damit zu rechtfertigen, dass es halt Bildung ist, geht meiner Meinung nach nicht auf. Und ich glaube durchaus, das manche Menschen von Haus aus einfach kein Interesse an Literatur haben. Das ist okay und das akzeptiere ich.
Ich halte Literatur trotzdem für lehrwürdig, weil die Identifikation mit den Figuren und das Durchleben der Konflikte erste Reihe fußfrei eben durchaus was mit einem macht (eleos und phobos - kathartische Effekte) und einen Empathie lehrt. Die Beschäftigung mit Literatur macht bestenfalls kritisch und offen und reißt Begrenzungen ein, öffnet den Horizont, lehrt auch geschichtliches bzw. literaturgeschichtliches, um nur ein paar Aspekte zu nennen.

Zwei Oberstufenlektüren schocken mich extrem. Wir hatten rund 20-25 Bücher in der Oberstufe zu lesen - und dabei habe ich keine allgemein- sondern eine berufsbildende Schule besucht, die die schönen Künste eh stark beschnitten hat (nix mit Lyrik und so. Gedichtanalysen sind mir vollkommen fremd.).

Zum deutschen Abi kann ich nichst sagen, zu unserer Zentralmatura auch noch nichts, ich bin der letzte Jahrgang, der noch nicht zentral maturiert hat. Bücher miteinander vergleichen musste ich in der Schule niemals.

Eine Liste mit Vorschlägen finde ich auch sinnvoll - so ist sichergestellt, dass eine einzelne Lehrperson nicht nur Schmarrn durchnimmt, ohne dass man ihr jede Selbstbestimmtheit nimmt (und ihr vielleicht nur Schmarrn zum Lehren anbietet ;) )

Ich halte mangelndes politisches oder geschichtliches Allgemeinwissen (oder das, was dafür gehalten wird) übrigens für weitaus gefährlicher für unsere Gesellschaft als wenn jemand mal zufällig keinen Goethe gelesen hat. Ich glaube davon, dass einer ein bestimmtes literarisches Werk nicht gelesen hat, ist noch keiner gestorben. Just my two cents.


Bin bei dir, wobei man das ja super verbinden kann. Gerade das Theater erfüllt(e) ja einen Bildungsauftrag und setzte sich oft sehr kritisch mit Politik und Gesellschaft auseinander. Mit Dramen aber auch mit anderer Literatur kann man da ja super viel machen.
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